Der große
Blonde mit dem kleinen Tick
Auf
den ersten Blick besticht seine Schönheit: goldenes Fell und rehbraune Augen.
Bei näherem Hinsehen bezaubert das sonnige Wesen ohne jede Spur von Aggression.
Seinen dritten Trumpf spielt der lockige Schotte erst aus, wenn seine Menschen
Ihm schon rettungslos verfallen sind: Intelligenz und immensen Arbeitseifer.
Die Schönheit
blühte im Verborgenen
Die
ersten Golden Retriever Züchter waren durchweg Jäger. Trotz seiner blendenden
Erscheinung hätte der große Blonde keine Chancen gehabt, wäre er nicht auch
in Feld und Flur ein As gewesen: ein verläßlicher Zuarbeiter, ein
nervenstarker Sucher und ein eifriger, durch nichts ablenkbarer Bringer. Vor
allem bei der Wasserjagd macht der der Blonde von sich reden. Denn da ist er in
seinem Element - wie alle Retriever. Im moor-, fluß- und seenreichen Schottland
fand der Superschwimmer aus dem zwinger von Lord Tweedmouth, Ilchester und
Harcourt schnell viele Freunde. Als der Rasse -Erfinder Tweedmouth 1894 starb,
galt sein goldener Nachlaß bereits als Geheimtip des norschottischen Adels.
Doch während sich in London wie auch in allen anderen europäischen Hauptstädten
Rasseclubs nach Rasseclubs formierten, blühte der Wasserjäger aus Guisachan
House weiter im Verborgenen.
Ein
Goldstück beweist Qualität
Erst
1913, vor genau 90 Jahren, gründeten Golden-Anhänger den ersten eigenen Club
und setzten die Anerkennung des "gelben Retrievers" (1920 wurde er in
Golden Retriever umgetauft) durch. Ganze 10 Mitglieder zählte damals der
Verein. Die betrieben PR für Ihren Schatz, doch obwohl sie den Blonden aus dem
Norden auf allen möglichen Zuchtschauen vorstellten, ernteten sie höchstens
Spott oder Mitleid. Der Bedarf an Hunderassen war mehr als gedeckt, das Publikum
übersättigt.
Das änderte sich erst, als die goldenen Retriever bei den Leistungsprüfungen,
den Field Trials, von sich reden machten.Prompt interessierte sich jetzt auch
der britische Süden für den gelehrigen Jagdhund mit der eisernen Gelassenheit.
Die Club-Mitglieder legten beim Kennel-Club den (bis heute kaum geänderten)
Standard fest und der schottische Wasserhund war von da an ständiger Gast auf
allen britischen Hunde-Ausstellungen. Mit wachsender Beliebtheit.
Ein Lord verliebt sich und Adel verpflichtet
Diese
unbezweifelbare Schönheit war es, die den schottischen Edelmann Sir Dudley
Coutts Marjoribanks in den Bann schlug. Wie alle britischen Adligen seiner zeit
hatte der Schotte jede Menge Jagdhunde, darunter Setter, Spaniels, Pointer,
Deerhounds, Beagles und Retriever. Sein Bedarf war also gedeckt. Doch -
ebenfalls Adelspflicht im englischen Königreich des vorigen Jahrhunderts - er züchtete
auch mit eigenem Zwingernamen und tauschte die besten seiner Jagdhunde in den
Clubs mit Verwandten und Bekannten.
Hoch oben in Schottland, noch nördlich von Inverness (wo die West Highland
White Terrier entstanden), kaufte Sir Dudley sich einen standesgemäßen
Landsitz, Guisachan, von wo aus er zu den jährlichen Jagden einlud. Außerhalb
der Saison lebte der Gutsherr in London, seine Kinder ließ er, wie alle Briten
von Stand, in Brighton erziehen.
Dort begegnete ihm Nous. Im Sommer 1865 spazierte Sir Dudley mit seinem Sohn an
der Küste entlang, als den beiden ein gelber wellhaariger Hund auffiel. Ob es
wirklich nur die aufsehenerregende Farbe war, die den passionierten Jäger
faszinierte, oder ob Ihn der Ehrgeiz packte, den schon bekannten dunklen
Retrievern eine weitere Variante zuzufügen, ist nicht bekannt. Sir Dudley, der
drei Jahre später zum ersten Lord Tweedmoth geschlagen wurde, verliebte sich
jedenfalls spontan in den jungen gelben Rüde. Wie sich herausstellte, hatte der
Besitzer, ein Schuster aus Brighton, ihn von einem Wildhüter des Lord
Chichester erhalten, weil der seine Rechnung nicht zahlen konnte. Der junge Nous
hatte keinen Stammbaum (Papiere waren damals noch nicht üblich), war aber als
Flat- bzw. Wavy-Coat Retriever gezüchtet worden. Der Schuhmacher trennte sich
gegen Bargeld gerne von seinem Hund und Nous wurde 1000 Kilometer nach Norden
verfrachtet, an den schottischen Fluß Tweed, zum Landsitz des späteren Lord
Tweedmouth.
1868
durfte der gelbe Retriever erstmals Vater werden. Auserkorene war die gelbbraune
junge Tweed Water Spaniel Hündin "Belle" (deren Rasse heute als
ausgestorben gilt). Belle und Nous sind die Stammeltern aller heute lebenden
Golden Retriever. Lord Tweedmouth kreuzte über zwanzig Jahre lang die Kinder
und Kindeskinder dieses ungleichen Paares mit anderen Water Spaniels, mit Irish
Settern, schwarzen Retrievern und (um noch eine bessere Spürnase zu schaffen)
mit einem sandfarbenen Bluthund.
Noch zu seinen Lebzeiten arbeitete sein Freund, der fünfte Earl von Ilchester,
mit an einem Stamm well- oder glatthaariger goldener Hund. Er startete mit einer
Tochter von Belle und Nous. Zwei weitere Welpen zogen von Gut Guisachan in den
Zwinger von Lord Harcourt, dem dritten Fan der Goldhunde.
Das Märchen
vom russischen Zirkushund
Bis
1959 glaubte man, daß der Golden Retriever Nachfahre einer russischen Rasse
sei. Erst das in den 50er Jahren veröffentlichte Zwingertagebuch des Lord
Tweedmouth setzte der folgende Legende ein Ende:
Bei
einem Besuch in Brighton verfolgte Sir Dudley Coutts Marjoribanks eine russische
Zirkusvorstellung. in der Ihm eine Gruppe gelber Hunde durch ihre Kunststücke
auffiel. Sir Dudley wollte einen der russischen Hunde erwerben. Als die
Zirkus-Crew darauf nicht einging, bot er Unsummen für die ganze Gruppe und
bekam sie. Der beste der gelbe Hund, der ursprüngliche Wunschhund, hieß Nous.
In Hutchinson's Dog Encyclopedia werden die acht russischen Retriever 1932 so
beschrieben:
Kräftig, mit einer sehr schönen äußeren Erscheinung, etwas lang im Rücken,
kräftige Lendenpartie und Hinterhand, schöne Pfoten und Knochen. Augenlieder,
Lefzen und Nasenschwamm sehr dunkel, wie auch die Haut. Die Fellfarbe hellgold
oder creme, manchmal fast weiß. Das Fell lang und wellig, die Rute häufig über
den Rücken gezogen.
Möglicherweise existierten im vorigen Jahrhundert wirklich russische Retriever,
vielleicht waren einige von Ihnen tatsächlich einst in Brighton Zirkusstars.
Doch der Rasseentdecker hat in Zwingertagebüchern genau festgehalten, wie er zu
Nous kamund mit wem er seinen ersten gelben kreuzte.
So mußten
die Verantwortlichen der Crufts Dog Show diese spannende Mär von der Entstehung
einer Rasse im Jahre 1959 aus Ihren Katalogen verbannen.